Geheimniskrämer: medizinische Gutachter II

Warum sich medizinische Gutachter gegen Begleitpersonen wehren –
und warum auch dies nicht funktioniert

Mit welchen strategischen und nicht selten illegalen oder zumindest fragwürdigen Mitteln sich Gutachter im medizinischen Bereich – vielfach mit Unterstützung der Leistungsträger, aber auch immer wieder der Gerichte – gegen einen breiten Zugang zu erstellten Gutachten wehren, wurde ja bereits in dem Beitrag „Geheimniskrämer: medizinische Gutachter“ erörtert.

Etwas näher ging dann der Beitrag „Die Frage nach den gebotenen Neutralitätserfordernissen des beauftragten bzw. zu beauftragenden Sachverständigen“ auf die Begutachtungspraxis ein. Und welche Konsequenzen offenbar seitens der kritisierten Stellen befürchtet werden, lässt der Artikel „Offenlegung von Interessenkonflikten – unerwünschte Wirkungen möglich?“ erahnen!

Damit aber nicht genug. Das Repertoire der Gegner von leidenden und entrechteten Patienten ist damit noch lange nicht erschöpft!

Zugegeben: ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich das Problem – zwar erkannt – aber in der Konsequenz adäquat angegangen bin, obwohl es nicht erst seit gestern in Foren, Arbeitskreisen und Patientenvereinigungen, ja sogar vor Gerichten immer wieder streitig zwischen den Parteien hin und her behandelt und ebenso beantwortet wurde.

Es ist die immer wieder von Gutachtern bemühte und von Patienten geklagte Weigerung, bei Begutachtensterminen eine Begleitperson – im Sinne einer Zeugenfunktion – zuzulassen.

Da werden Begutachtungen abgebrochen, finden meist sogar erst gar nicht statt und werden bei gerichtlicher Beauftragung auch sogleich dort – in der Regel mit Erfolg! – moniert.

Dabei scheinen weder Richter und schon gar nicht die beauftragten Sachverständigen mit der Rechtslage vertraut zu sein. Schon aus dem Grunde, weil es seit Jahren diesbezügliche Urteile klargestellt haben und eben das Recht auf das Beisein einer Begleitperson zugelassen haben (1), kann dies gundsätzlich nicht nachvollzogen werden.

In wie weit es dieser Urteile überhaupt bedurfte, lassen wir hier mal offen. Unbestritten dagegen ist doch, dass Juristen, Richter aber auch Anwälte, Ihre Arbeitsgrundlagen in Form der Gesetze kennen und beherrschen sollen. Wenn ihnen aber das schon ganz offensichtlich nicht gelingt, wäre doch zu vermuten, dass sie in der Lage und Willens sind, diese zumindest nachzulesen und dann auch rechtskonform anzuwenden, ohne sich andernfalls dem Verdacht der Parteilichkeit oder gar der Rechtsbeugung auszusetzen.

Worauf soll der (sicher schwerwiegende) Vorwurf zielen?

Wie gesagt: auf die hinreichenden gesetzlichen Bestimmungen, wie sie das 10. Sozialgesetzbuch (SGB IX) und mit gleichem Wortlaut das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bereits gegeben sind. Beide regeln in ihrem Bereich das Recht des Probanden auf die Anwesenheit von wie es in beiden Bestimmungen lautet „Bevollmächtigte und Beistände“. Dies steht dem zu Begutachtenden (abgesehen von dem Umstand, dass diese Personen zu einem „sachgemäßen Vortrag nicht fähig sind“) ohne Nennung von weiteren Einschränkungen oder Voraussetzungen zu.

Im Wortlaut bestimmen SGB IX und VwVfG in den jeweils zutreffenden Paragraphen(2):

(1) Ein Beteiligter kann sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmacht ermächtigt zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergibt. […]

(4) Ein Beteiligter kann zu Verhandlungen und Besprechungen mit einem Beistand erscheinen. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit dieser nicht unverzüglich widerspricht.

Nun kann sicher nicht bestritten werden, dass im Falle des jeweiligen Absatzes 4 die gutachterliche Untersuchung Teil einer Verhandlung oder gar Teil einer Besprechung ist. Folglich ist dem zu Untersuchenden – gleichgültig ob gerichtlich angeordnet oder von einem Leistungsträger verlangt – einer von ihm zu bestimmenden Person das Erscheinen und damit auch die Anwesenheit zu ermöglichen. Dies ergibt sich schon daraus, dass es ihm andernfalls überhaupt nicht, wie in Abs. 4, Satz 2 vorgesehen, möglich wäre, zum Sachverhalt vorzutragen.

Bedenkt man die Funktion, innerhalb derer der medizinische Gutachter tätig wird, nämlich in einem juristischen Verfahren ohne richterliche Aufsicht hinsichtlich eines Verfahrensbeteiligten Untersuchungen vorzunehmen und damit für das Gericht in wesentlichen, ja grundsätzlichen Belangen zu ermitteln, damit Beweise zu erheben und ein Zeugnis abzugeben, ohne in seiner herausgehobenen fachlichen Stellung auch nur irgendeiner Beobachtung zu unterliegen, so grenzt dies an mutwilliger Ausübung der Gerichtsbarkeit.

In Kenntnis der Bestimmungen könnten also Missverständnisse, Voreingenommenheit und Verdächtigungen vermieden sowie der viel beklagte zeitliche und finanzielle Aufwand verringert werden. Und die Justiz hätte zumindest diesen Makel weniger.

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(1) Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 02.11.2009 – L 12 B 57/09 SO, abrufbar als PDF-Datei bei abeKra e.V. unter http://www.abekra.de/Recht/PatientInnen_Versichertenrechte/LSG_NRW_L_12_B_57-09_SO.PDF

(2) § 13 SGB IX http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_10/__13.html; § 14 VwVfG http://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/__14.html

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